Nach unser ersten Tageswanderung zum Aussichtspunkt "Loma del Pliegue Tumbado" wollen wir zu einer 3 tägigen Wandertour im Nationalpark "Los Glaciares" ("Die Gletscher") aufbrechen. Der Argentinier Ignacio, der eines der Zimmer in unserer Herberge Dauer mietet und als Geschichtslehrer in El Chalten arbeitet, leiht uns seinen Wanderrucksack so das wir uns nur einen weiteren mieten müssen.
In der Kleinstadt gibt es einige Outdoorgeschäfte die Camping und Kletterausrüstung tagesweise vermieten. Eigentlich wollen wir noch einen Ruhetag verbringen aber die Sonne strahlt so sehr das wir uns kurzfristig entscheiden noch am späten Nachmittag zum nur zwei Stunden entfernten Campamanto Capri aufzubrechen.
Die Campingplätze im Nationalpark sind allesamt kostenlos. Frischwasser bekommt man aus den glasklaren Seen oder Bächen. Ein einfaches Plumsklo verhindert Unmengen Papier im Wald und trotz des inzwischen recht kühlen Wetters und des nahen Winters sind noch außergewöhnlich viele Wanderer unterwegs, die meisten jedoch als Tageswanderer
Als wir am Campingplatz im Sonnenuntergang ankommen ist es bereits nahe dem Gefrierpunkt. Wir treffen auf Dmitri aus unserem Hostal der ebenfalls hier sein Zelt aufgebaut hat. Er kommt aus Moskau und sagt die Leute in Russland denken er sei verrückt denn mit 27 müsse man doch schließlich bereits eine Familie und eine Wohnung haben und nicht für ein Jahr durch die Welt reisen. Er sieht es gelassen. Während wir uns vor dem Toilettenhäuschen stehend unterhalten wird es immer kälter. Die Nähe des Sees und der feuchten Waldboden machen die Kälte unangenehm klamm. Dmitri der von seinen Freunden nur "Dima" genannt wird sagt ihm sei kalt aber erst wenn es noch 15 Grad kälter wird dann sei es erst richtig kalt. Ich frage ihn ob er Wodka "zum Aufwärmen" dabei habe und er sagt grinsend "leider nein, hier gibt es ja fast nichts im Ort in den Läden".
Ich denke zurück an den Vormittag und unserem Besuch im Supermarkt. Die meisten Regale sind erschreckend leer. Während wir vor zwei Tagen noch Hackfleisch ergattern konnten liegen in der Vitrine der Fleisch Teke nur noch ein paar traurige Suppenknochen herum. Käse ist mit Ausnahme eines ziemlich angestaubt aussehenden Stücks Parmesan komplett alle, das Gemüseregal ist komplett leergefegt. Einzig die Kartoffel und Zwiebellieferung scheint erfolgreich angekommen zu sein. Butter und süße Creme, die typisch für alle Länder Südamerika ist, sind inzwischen auch alle und im leeren Milchregal liegen nur noch ein paar Tüten Schokoladenmilch und 5 Jogurts. Wir wissen manchmal gar nicht so recht was wir kaufen sollen und haben schnell begriffen dass wir keine großen Kochpläne machen können sondern uns danach richten müssen was an dem Tag im "Supermarkt" vorrätig ist.
Nach einer ordentlichen Portion Spagetti mit geröstetem Knoblauch gehen auch wir in unser Zelt. Es ist sternklar und windstill. Wir haben von mehr als 40 Zelten pro Campingplatz gehört aber hier ist es mit 6 Zelten angenehm ruhig . Am nächsten Morgen fällt es uns schwer die warmen Daunenschlafsäcke in die Kälte zu verlassen aber wir werden mit einem spektakulären Spiegelbild des Cerro Fitzroy auf der Nahen Laguna Capri belohnt...
Wir packen langsam unsere Sachen zusammen. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und spendet angenehme Wärme. Wir wandern nur 4 Kilometer weiter zum nahegelegenen Campamento Poincenot wo wir alles wieder auspacken und unser Zelt erneut aufstellen denn wir wollen ohne Gepäck den steilen Pfad zum Aussichtspunkt "Laguna de los Tres" wandern.
Als wir zum Campingplatz zurückkommen hat Daniela aus Wiesbaden ihr Zelt neben unserem aufgestellt. Während wir kochen und Tee trinken tauschen wir untereinander Reisegeschichten aus. Dani ist von Berlin aus in Etappen mit der transsibirischen Eisenbahn Richtung Osten gefahren. In der Mongolei hat sie auf einem Pferdetreck in der Wildnis in Jurten übernachtet, ist von China mit dem Zug in die "verbotene" Stadt Lhasa gefahren und durch die meisten Länder Südostasiens gereist.
Im Dunkeln verkriechen wir uns wieder in unsere Zelte. Als wir aufwachen hat es zu schneien begonnen. Es ist der 5. April und der Winter zieht allmählich in Patagonien ein. Bis lang haben wir noch niemanden getroffen der so wie wir weiter nach Süden reist. Die meisten Backpacker und "Overlander" in Autos sind auf dem Weg in den wärmeren Norden Richtung Atacama Wüste oder Bolivien.
Es ist komplett bewölkt und verhangen und wir kennen die Wettervoraussichten für die nächsten Tage nicht. Da die Sicht extrem eingeschränkt ist entscheiden wir uns ins Dorf zurück zu wandern und den letzten Aussichtspunkt am Cerro Torre als Tageswanderung bei besseren Wetterbedingungen zu machen. Das Wandern mit den dick bepackten Rucksäcken wärmt so langsam unsere eingefrorenen Extremitäten wieder auf. Nach einer halben Stunde kann ich zumindest einen Großteil meiner Zehen und Finger wieder spüren. Ich gehe im Kopf durch was ich alles an habe und das entspricht nahezu allem was ich dabei habe. T-Shirt, Merinoshirt, Kapuzenpullover, Fleece-Jacke und darüber meine Daunenjacke. Thermoleggins, Regenhose on Top, Skihandschuhe, zwei Paar Socken, Wanderstiefel, Fleecehalstuch, Kopftuch und Mütze darüber...so lässt es sich im patagonischen Spätherbst aushalten!
Wir haben großes Glück. Bereits am nächsten Tag ist das Wetter wieder umgeschlagen und die Sonne scheint. Wir machen uns auf zur Laguna Torre am Fuß des Cerro Torre. Der Weg zum Gletschersee führt uns durch eine leuchtende Herbstlandschaft entlang eines Flusses über mehrere Moränen immer mit Blick auf die schneebedeckten "Türme".
Auf dem Gletschersee treiben ein paar kleine Eisberge. Die Gletscher im Hintergrund scheinen in der Herbstsonne bläulich-weiß. Plötzlich hören wir ein lautes Tosen, ähnlich eines drohenden Gewitters. Es ist natürlich kein Gewitter sondern das unheimliche Geräusch das aus den Tiefen der Gletscher hervordringt wenn sie sich bewegen. Es vergehen nur wenige Sekunden als wir das tiefe Grollen erneut hören und ein riesiges Stück Eis aus dem Gletscher abbricht und als Lawine in den Abgrund stürzt.