Was sagt uns Ecuador? Nichts! Obwohl, halt! Zwei Dinge wissen wohl die meisten von uns über dieses kleine Land. Die Galapagos Inseln und der Äquator. Viel mehr wissen wir bis lang auch nicht. Von "super schön" über "da gibt es nichts zu sehen, könnt Ihr schnell durch radeln" haben wir von entgegenkommenden Tourenradlern gehört. Da sind wir aber mal gespannt!
Wir radeln früh morgens die 4 Kilometer zur Grenze. Wir dürfen unsere Räder bis in die Abfertigungshalle schieben und sehen sofort: wir sind nicht die einzigen Radfahrer. An der Wand lehnt ein Rad gegen dessen meines im Vergleich wie eine Miniaturausgabe aussieht. Der nicht weniger imposante Besitzer ist ein lustiger Kanadier aus Vancouver. Während wir in der Schlange stehen kommen wir sofort ins Gespräch. Brek ist in Bogota gestartet und auf einer 6 monatigen Radtour mit dem Ziel Santiago de Chile. Die nette Beamtin am Schalter möchte meinen Beruf wissen, der Pass wird eingelesen und gestempelt. Sie legt mir eine kleine Touristenkarte von Ecuador in den Pass, lächelt mich an und sagt "Bienvenidos a Ecuador". Das war mit Abstand der netteste Grenzübergang wenn man mal von dem in Kolumbien absieht bei dem wir physisch nicht mal anwesend sein mussten da unser Kapitän die Formalien erledigt hat.
Wir radeln die wenigen Kilometer nach Tulcan, die erste größere Stadt auf der ecuadorianischen Seite. Ich erinnere mich an den etwas skurrilen Tipp aus Kolumbien seitens des Friedhofs und jetzt wollen wir es wissen. Was kann schon so besonders an einem Friedhof sein denke ich. Dieser liegt mitten im Stadtzentrum. Wir schieben unsere Räder durch den großflächig angelegten Eingangsbereich und....erstarren. Wow, an so etwas haben wir nun wirklich nicht gedacht. Der gesamte Friedhof ist mit wunderschönen Figuren geschmückt die aus Hecken geschnitten wurden. Die Anlage ist riesig und in vielen Bereichen kann man das Spektakel auf Hochwegen auf den Grabmauern betrachten. Wir sind begeistert. Während unseres Spazierganges sehen wir die Landschaftsgärtner die mit Heckenscheren bewaffnet absolute Feinarbeit betreiben. Die Gärtner sind das ganze Jahr über beschäftigt denn jede der kunstvollen Figuren benötigt alle 4 Monate einen neuen "Haarschnitt".
Weiter kommen wir heute nicht. Die Zeit ist im Flug vergangen und wir quartieren uns in einem winzigen Hostal am südlichen Ende der Stadt ein. In Ecuador ist die Landeswährung der US Dollar und entsprechend höher sind hier im Gegensatz zum preiswerten Kolumbien leider die Preise. Wir zünden also im Innenhof den Campingkocher. In dem winzigen Zimmer ist es so kalt das wir sogar unsere Daunenschlafsäcke und Mützen raus holen müssen. In Ecuador werden wir hauptsächlich in den Anden bleiben und das spielt sich alles auf einem Niveau zwischen 2000 und 4000 Metern über dem Meeresspiegel ab. Tagsüber ist es angenehm warm aber sobald die Sonne untergegangen ist sind die Temperaturen nicht mehr weit vom Gefrierpunkt entfernt.
Unser nächstes Ziel ist der Nationalpark "El Angel". Wir fahren diese Route hauptsächlich weil wir keine Lust haben auf der stark befahrenen Panamericana zu bleiben und weil sie Landschaftlich einiges zu bieten haben soll. Wir radeln gemeinsam mit Brek weiter. Den ersten Tag kurbeln wir uns knapp 800 Höhenmeter auf Schotterpiste hinauf. Wir zelten am höchsten Punkt an der Ranger Station auf 3700 Höhenmeter. Die Landschaft ist spektakulär. Den gesamten Tag treffen wir nur auf ein Auto. Von Touristen weit und breit keine Spur. Wir fahren durch riesige Wälder von Schopfrosettenbäumchen die nur in ausgewählten Ländern in Hochebenen in Südamerika wachsen. Die Ranger Station ist verlassen und wir bauen unsere Zelte neben dem Haus auf. Nach Sonnenuntergang sind wir ziemlich schnell in den Schlafsäcken denn hier ist es saukalt.
Am nächsten Morgen sind wir und unsere Zelte in riesige Nebelschwaden gehüllt. Wir brauchen erstmal einen Café zum aufwärmen und aufwachen. Inzwischen ist der Ranger angekommen. Er entschuldigt sich das wir die letzte Nacht nicht im Haus verbringen konnten aber alle Ranger hätten am Vorabend bei dem Endspiel der lokalen Fußballiga gegen die Taxifahrer teilgenommen und dann musste der Sieg natürlich noch gefeiert werden. Er zeigt uns den Pfad zur Lagune. Der Weg führt uns durch die etwas gespenstig wirkende Landschaft auf 3800 Meter über dem Meeresspiegel zum Aussichtspunkt "Gesunde Herzen". Der Weg dorthin ist steil und anstrengend und ich muss alle paar Schritte anhalten damit sich meine Herzfrequenz aus dem Alarmbereich bewegt.
Wir verabschieden uns beim Förster und machen uns auf in das 1000 Meter niedriger gelegene Tal. Wir übernachten in einem kleinen Ort namens Mira. Es gibt nur ein Hotel im Ort und das ist mehr als gut "getarnt". Ein Schild gibt es nicht aber die Polizei weist uns den Weg. Der ältere Herr begrüßt uns ein wenig skeptisch. Ich frage nach zwei Zimmern. Diese sind um einen chaotisch wirkenden Innenhof angelegt. Satte 10 Dollar pro Person sollen die Zimmer kosten. Ich bin ein wenig sprachlos beim Anblick der fensterlosen Buden. Während Brek und ich am Verhandeln sind hat sich draußen um Radko eine kleine Kinderschaar gebildet. Nichts ist niet und nagelfest vor der kleinen Bande. Alles wird angefasst, ausprobiert und begutachtet. Auf Brek`s Rad sitzen plötzlich drei kleinen Jungs, meine Radflasche wird aus der Halterung genommen und halb leer getrunken und als mein Tacho kurz davor ist in der Hosentasche eines der Kinder zu verschwinden haben wir uns zum Glück drinnen auf einen guten Deal einigen können und bringen unsere Räder in Sicherheit. der Hotelbesitzer ist verhandlungssicher aber ich auch. Zunächst befinden wir uns bei 8 Dollar pro Person. Das ist nicht akzeptabel finde ich. Ich frage nach dem preiswertesten Zimmer sonst müssten wir leider gehen und plötzlich gibt es neben den Zimmern mit eigenem Bad für 10 Dollar pro Person auch noch welche mit Gemeinschaftsbad für 5 Dollar pro Person. Das ist okay und am Ende sind wir alle zufrieden. Es hat nur zwei Tage gebraucht um festzustellen das hier andere "Gesetze" gelten als im noch relativ untouristischen Kolumbien. In Ecuador wird offensichtlich regelhaft ein Touristenaufschlag auf den Standartpreis draufgelegt und es wird einem sofort das teuerste Zimmer zuerst angeboten. Auf Nachfrage gibt es immer noch ein preiswerteres Zimmer...muss man eben wissen!
Nachdem wir unsere erste Bekanntschaft mit dem Anden in Kolumbien gemacht hatten konnten wir uns kaum noch eine Steigerung vorstellen aber diese existiert und heißt definitiv Ecuador. Eine Nachricht von den Engländern Laura und Sam lautete "Ecuador ist genau so toll wie Kolumbien nur das die Berge noch größer und gewaltiger sind". Jetzt beginne ich die Aussage zu verstehen. Die Anden hier sind gewaltig, imposant und ich erahne jetzt schon das die nächste Steigerung wohl Peru heißen wird...gut das wir von Nord nach Süd radeln und uns langsam an die Strapazen und Höhen gewöhnen können!
Wir sind auf dem Weg zur Finka Sommerwind. Wohl der Treffpunkt für "Overlander" und "Panamerikaner" an der Laguna Yahuarcocha kurz vor der Stadt Ibarra. Als wir ankommen werden wir sofort von Hans und seiner Frau begrüßt. Die Finka ist eine großartige Anlage mit herrlichen Zeltplätzen, liebevoll angelegten Häusern und jeder Menge Orten zum relaxen. Am Abend sitzen wir mit anderen Reisenden aud Holland, Deutschland, Kolumbien, Kanada und der Schweiz an einem großen Tisch im Garten und grillen. Für 3,50 gibt es "all you can eat" und Radko und Brek sind im "Fleisch-Himmel". Wir bleiben zwei Nächte. Wir haben Glück denn es ist Wochenende und nur dann ist das hauseigene Garten Café in Betrieb und wir schlagen uns den Bauch mit Käsekuchen und Rotweintorte voll....genial! Wir kommen mit Daniel aus Bogota ins Gespräch der mit seinem Motorrad auf dem Heimweg von Peru aus ist. Daniel ist Pilot und arbeitet für die Fluglinie AVANCA. Wir sind fasziniert...wann hat man schon mal die Gelegenheit alle seine "Pilotenfragen" loszuwerden!
Nach zwei ruhigen Tagen bei der Finka Sommerwind sind wir wieder auf der lauten und irgendwie anstrengenden Ruta 35, der Panamerican. Es dauert nicht lange und ich bin einfach nur noch genervt...genervt vom Autolärm, den Abgasen und dem stetigen Auf- und Ab. Da hilft nur Musik auf voller Lautstärke im Ohr. Jetzt läuft es deutlich besser. Im Rhythmus quäle ich mich auf dem Randstreifen die langgezogenen Steigungen hoch. Ab und an werfe ich routinemäßig einen Blick in meinen Rückspiegel. Wo stecken Radko und Brek frage ich mich irgendwann? Ich bleibe stehen und entdecke die beiden ein gutes Stück hinter mir neben einem Auto stehend. Ich rolle zurück. Die beiden gucken mich mit einem fragenden Grinsen an. "Wir sind eingeladen hier zu übernachten" sagt Brek. Ich gucke zum Schein etwas streng auf meinen Tacho der ganze 19 Tageskilometer anzeigt aber innerlich juble ich von ganzem Herzen. Ich gucke die beiden ohne eine Miene zu verziehen an und sage: "Na ja ich denke es wäre doch äußerst unhöflich so ein Angebot abzulehnen oder?". Komischer Weise sind wir alle der selben Meinung und schon folgen wir dem silberfarbenen SUV die kopfsteingepflasterte Straße ins nahegelegene Dorf Natabuela. Wir werden bei Mario und Cecilia "abgeliefert" denn die nette Autofahrerin ist Mario`s Schwester. Die sympathische Familie betreibt eine kleine T-Shirt Fabrik und Mario ist leidenschaftlicher Radfahrer. Wenn immer eines der Familienmitglieder Radfahrer auf der Panamericana sichtet werden diese eingesammelt um sich einige Tage erholen zu können. Wir zelten im überdachten Innenhof. Eine 6 köpfige Hundebande begrüßt uns begeistert und weicht uns nicht mehr von der Seite. Mario zeigt uns die Fabrik die direkt hinter dem Haus liegt und wir werden mit herrlichen Leckereien aus Cecilias Küche verwöhnt. Wir könnten bis zu zwei Wochen bleiben sagt Mario mit einem Grinsen, dann würde er uns aber wieder rausschmeißen.
Wir beschränken uns auf zwei Nächte aber nutzen die Gelegenheit den nahegelegenen Kratersee zu besichtigen. Wir wandern in 5 Stunden auf dem Kraterrand um den See und sind tief beeindruckt von der Kulisse die sich uns bietet. Ich kann kaum glauben das jemand dieses Land als langweilig bezeichnet hat. Schon nach wenigen Tagen hat uns Ecuador mit seiner landschaftlichen Schönheit in den Bann gezogen. Genau wie in Kolumbien werden wir hier von den Autos mit hupen und "Daumen hoch" angefeuert und gegrüßt. Die Menschen sind offen und gastfreundlich. Wir erahnen jetzt schon das wir wohl mal wieder länger brauchen werden als geplant...!
Nach zwei Nächten bei Manuel und Cecilia ist es Zeit weiter zu fahren...aber natürlich nicht ohne ein herrliches Frühstück das Cecilia für uns gezaubert hat. Die Weiterfahrt verzögert sich bis Mittag denn es schüttet aus vollen Kübeln. Radko und Brek starren fünf minütlich auf die online Wetterkarte und analysieren die Wolkenfront. Ich sitze relativ gelassen in Regenklamotten in der Küche und lese. Irgendwie hoffe ich auf einen weiteren Ruhetag aber gegen 13:00 hört es wirklich auf zu regnen und wir fahren los. Die Panamericana zieht auf dieser Strecke alle Register und beschert uns kaum ein ebenes Stück. Wir radeln durch Otavalo aber beschließen noch ein bisschen weiter zu fahren. Gegen 17:00 müssen wir feststellen das es keine Unterkünfte entlang der Strecke gibt. Ein Ort zum campen wäre jetzt nicht schlecht. Kurz vor Sonnenuntergang biegen wir deshalb von der Panamericana Richtung des Ortes San Pablo del Lago ab. Gerade als ich innerlich anfange zu verfluchen das wir nicht in Otavalo geblieben sind sehe ich die Feuerwehrstation an der Landstraße. Hier dürfen wir unsere Zelte aufstellen. Wir werden heftig von einer zierlichen Hündin angebellt die sich zunächst so gar nicht mit uns anfreunden will. Sobald wir ihr zu nahe kommen hat sie offensichtlich ziemliche Angst und schreckt zurück. Erst als wir in der Küche zu Abend essen siegt die Neugier und wir werden doch noch gute Freunde. Die Feuerwehrmänner erzählen uns die beeindruckende Geschichte der Hündin. Als es im Frühling diesen Jahres an der Küste zum großen Erdbeben gekommen war haben die Männer dort für eine Woche geholfen. Immer wenn es zu einem Nachbeben kam riefen die Männer laut "Replica", das spanische Wort für "Nachbeben". Ein kleiner Welpe sei dabei aus den Trümmern gekrochen gekommen und wurde kurzerhand von der Feuerwache adoptiert...und "Replica" genannt.
Nach genau 16.513 Kilometern stehen wir auf der Hälfte der Welt, dem Äquator. Ein unglaubliches Gefühl. Ab sofort radeln wir offiziell auf der Südhalbkugel. Wir wollen es natürlich genau wissen und legen kurzer Hand Brek`s Garmin GPS Gerät auf den Äquator. Und in der Tat...auf den Zentimeter genau liegt die Linie im Zentrum der großen Sonnenuhr. Wahnsinn! Wir tanzen und springen ausgelassen zwischen den beiden Hemisphären hin und her und erfahren anschließend von der Äquator eigenen Touristeninformation das wir heute insgesamt sogar 3 Mal auf unserer Strecke den Äquator überqueren werden!
Vom Äquator aus radeln wir in zwei Tagesetappen nach Tumbaco in das "Casa de Cislista". Mal wieder befinden wir uns an einem Ort an dem eine liebe Familie beschlossen hat Tourenfahrer aus der ganzen Welt kostenlos zu beherbergen. Im "Bunker", einer halboffenen Zementgarage oder im Garten dürfen wir unsere Zelte aufstellen und uns ausruhen. Aber das nur 15 Km entfernte Quito, die Hauptstadt Ecuadors, lockt mit seinen Sehenswürdigkeiten und auf diese werden wir uns die nächsten Tage stürzen!