dream on two wheels

Japan: verfolgt vom Taifun

Über den Shimanami Kaido Radweg auf Japan`s Insel Shikoku (19.10.-31.10.17)

Wenn es einen Radweg gibt den jeder in Japan kennt dann ist es der berühmte "Brückenradweg" Shimanami Kaido. Es ist die einzige auch zu Fuß bzw. per Rad befahrbare Autobahnverbindung zwischen der Hauptinsel Honshu und der kleinsten der 4 Hauptinseln Japans, Shikoku. Die 60 Kilometer Lange Straße führt über 6 kleine Inseln und mehrere riesige Brücken über die Seto Inlandssee von Onomichi nach Imabari. Touristen aus der ganzen Welt kommen um mit Mieträdern die beeindruckende Route in eine Richtung zu fahren.  Ist doch klar das wir das erst recht radeln wollen! Als wir in Onomichi starten ist es bereits Mittags und da wir die Strecke nicht unbedingt an einem Tag fahren müssen planen wir einfach auf einer der kleinen Zwischeninseln zu zelten.

Die riesigen Brücken sind wirklich beeindruckend uns sehen alle gleich aus. Sie unterscheiden sich lediglich in der Anzahl der "Segel". Alle Brücken haben eine vorbildliche nicht zu steile separate Radwegauffahrt und auf der Brücke fahren wir einmal sogar "unterhalb" der Autos auf einer eigenen Spur und ansonsten auf einem breiten eingezäunten Radweg. Von den Brücken aus hat man einen tollen Ausblick auf das Seto- Binnenmeer das die großen japanischen Inseln Honshu, Shikoku und Kyushu voneinader trennt. Zudem befinden sich noch viele weitere sehr kleine Inseln in der Meeresenge über die wir uns nun Richtung Shikoku vorarbeiten.

Unser Zelt können wir problemlos an einem Picknick Platz kurz unterhalb der vierten Brücke aufschlagen. Beim Sonnenuntergang haben wir einen wunderschönen Blick auf die Brücke und das Meer!

Eigentlich waren wir der Meinung das der Wetterbericht für den kommenden Tag nur "bedeck" vorausgesagt hatte aber kurz nachdem wir das Zelt eingepackt haben fängt es mal wieder an zu regnen. Das Wetter in Japan ist ein echtes Problem für uns. Erstens macht es einfach keinen Spaß ständig im Regen zu fahren und zweitens ist unsere Ausrüstung wie Zelt und Schlafsäcke permanent nass und wir kommen mit dem trocknen kaum noch hinterher. Das wiederum hat zu einem Schimmelbefall auf unseren Thermarestmatten geführt. Schrubben, in der Sonnen trocknen, nichts hilft mehr. Der Hersteller weiß auch keinen Rat außer das was wir schon versucht haben und daher müssen wir uns nach Japan neue Matten kaufen...

Es regnet also mal wieder. Auch meine vierte Regenjacke in zwei Jahren hält den Dauerregen nur noch bedingt ab so daß wir inzwischen über unsere Goretex Regenbekleidung einen 5 Euro Billigregenmantel aus dem Conbini Store drüber ziehen. Das ist gar nicht mal so übel!!! Man muss sich eben nur zu behelfen wissen!

Was wir noch nicht wissen ist das in 24 h ein Super-Taifun namens "Lan" über Japan fegen wird. Wir fahren also erstmal im strömenden Regen weiter. Viele Fotos machen wir nicht denn es regnet so heftig dass in Sekunden schnelle alles nass wird. In den kurzen Momenten wo der Regen leichter wird mache ich blitzschnell ein Bild von der letzten und größten Brücke des Radwegs. Am Fuß der Brücke treffen wir auf eine Gruppe japanischer Wochenendtouristen die extra aus Tokyo mit Rennrädern angereist sind um die Route zu fahren....wie wir im strömenden Regen und ohne Regenbekleidung! Juhu, das macht Spaß!!! Erst hier erfahren wir von nahenden Taifun, der dritte seit dem wir in Japan sind. Wer einmal, wie wir, einen Taifun im Zelt ausgesessen hat will das nie wieder erleben! 48 h stärkster Dauerregen mit heftigem Wind. Eine Unterschlupf muss her, und zwar ziemlich zügig.

Ich kontaktiere am frühen Nachmittag zwei "War Shower" Gastgeber in Imabari auf der Zielseite des Radweges und wir haben mehr als Glück!!! Taka, ein rüstiger alleinlebender Rentner kann uns beherbergen.  Als wir im Dunkeln an seinem Haus ankommen sind wir vom Regen durchgetränkt, und fix und fertig. Wir können Duschen und anschließend in der Badewanne entspannen, unsere Sachen waschen und kochen. Taka erzählt uns dass er fast jeden Tag Gäste habe. Über warm shower nur selten aber oft über Couch Surfing oder Pilger die die berühmte Pilgerwanderung mit 88 zu besuchenden Klöstern auf Shikoku machen. Am nächsten Morgen fährt er 90 Minuten zum Flughafen weil ihn eine canadische Touristin die schon einmal bei ihm war kontaktiert hatte. Ihr Flug ist wegen des Taifuns ausgefallen und da fährt er eben 3 h über die Insel um sie für die kommende Nacht zu beherbergen und am nächsten Tag wieder zum Flughafen zu bringen. Wir haben ein schlechtes gewissen weil wir das Gefühl haben das er gerne etwas kürzer treten möchte was das Aufnehmen von Gästen angeht sich aber nicht traut "nein" zu sagen, bzw. das ganze fast schon als Pflicht oder Gewohnheit sieht. Wir kochen ein Abendessen für Taka aber als er mit der Canadierin zurück kommt bringen sie auch noch reichlich Essen mit und wir stellen einfach alles zusammen auf den Tisch.

Taka zeigt uns sein Pilgerbuch. An jedem Tempel wird ein riesiger Stempel (für 300 Yen) auf eine Seite gedruckt und am Ende können es 88 Stempel sein. Der gesamte Weg misst ca. 1200 Km. Man kann aber auch in Abschnitten auf Bus und Bahn umsteigen bzw. den Weg in mehreren Jahren in Abschnitten laufen. Auch per Rad oder Motorrad kann man die Pilgerreise absolvieren.  Die Pilger sind an ihrem traditionellen weißen Gewand, dem Gehstock und dem spitzen Strohhut zu erkennen.

Nach 48 h ist "Lan" an uns vorbei und die Sonne scheint als wäre nie etwas gewesen. Bei der Herausfahrt aus der Stadt können wir endlich Radkos andere Seite vom Hinterradgepäckträger schweißen lassen. Die erste Seite war bereits in Patagonien gebrochen und geschweißt worden und die andere Seite hielt seit Wochen nur noch durch einen kräftigen Kabelbinder. Kabelbinder in jeglicher Stärke sind wirklich ein unverzichtbares Utensil auf einer Radweltreise!!!  

Wir kommen nicht all zu weit da wir noch zum Supermarkt müssen und erst gegen 10:30 bei Taka losgefahren sind. Wir übernachten kurz hinter der Großstadt am Strand. Am nächsten Morgen ist der Strand voll von fleißigen Rentnern die eifrig den angespülten Müll vom Taifun aufsammeln. Überhaupt schein freiwilligen Arbeit in Japan eine Selbstverständlichkeit zu sein. Auch unser Gastgeber Taka arbeitet ehrenamtlich an den Wochenenden im Stadtpark!

Seit Hokkaido haben wir eigentlich keine Radreisenden mehr gesehen. Hier auf Shikoku treffen wir auf Carmen und Faye aus Hong Kong die für 6 Wochen mit dem Klapprad durch Japan reisen. Radreise per Klapprad ist in Japan ein absoluter Trend und praktisch wenn man zwischen durch doch mal eine Strecke mit dem Zug oder Bus zurück legen möchte denn Räder müssen zum Transport in eine speziell vorgesehene Tasche verpackt sein sonst werden sie nicht mitgenommen. Mit unseren Rädern hätten wir in Japan null Chance auf Bus oder Bahn!

Wir radeln ins bergige und ruhige Inland der Insel. Täglich an die tausend Höhenmeter geht es bergauf, bergab, durch riesige Tunnel und Brücken...

Wir müssen durch den mehr als 5 Km langen Kanpuzan Tunnel. Vor dem Tunnel müssen wir anhalten denn es werden gerade Bauarbeiten durchgeführt. Die Einfahrt ist auf die rechte Spur beschränkt, also für uns auf d3er Gegenspur, denn in Japan herrscht Linksverkehr. Wir werden nach rechts gebeten, ein Support Car begleitet uns für einige hundert Meter hinter uns und düst dann plötzlich an uns vorbei. Wir denken uns nichts und radeln weiter auf der rechten Spur. Plötzlich kommt ein anderes Fahrzeug angefahren, ein Bauarbeiter mit einer blinkenden Warnweste springt heraus und signalisiert panisch das wir auf die linke Seite wechseln sollen. Dann kommt auch schon von hinten eine Autokolonne an uns vorbei gerast. Er winkt uns mit sich und für die nächsten 3 Km (!!!) eskortiert er uns zu Fuß bis zur Baustelle bei Kilometer 3 im Tunnel...Dann läuft der Verkehr wieder normal und wir können alleine weiter radeln. Alles erfolgt wie immer in Japan höflich, zuvorkommend und komplett problemlos, als wäre es das normalste der Welt zwei Radreisende zu Fuß für drei Kilometer durch eine Baustelle zu begleiten! Bei der Baustelle bedankt er sich bei uns, verbeugt sich tief und verschwindet mit einem freundlichen "Sayoonara" in die andere Richtung...

Hinter dem Tunnel beginnt die "Wildniss Shikokus". Auf winzigen Stra0en winden wir uns Kilometer lang die Serpentinen hinauf zum Tsurugi Berg. Einmal können wir in einer leerstehenden offenen Hütte an der Landstraße übernachten, die folgende Nacht zelten wir auf dem Pass auf 1133 Metern. Wir kommen gerade noch nach einem 18 Kilometer langen Anstieg rechtzeitig zum Sonnenuntergang an. Der Himmel verfärbt sich rot als die Sonne als Feuerball hinter den Bergen verschwindet und bald sehen wir nur noch die Silhouette des Gebirgszuges in der Ferne im Abendrot... 

Bei einem kleinen "Gipfelrundgang" entdecken wir ein "Bärenschild". Wiedererwartend scheint es hier auch Bären zu geben aber wir sind zu müde um uns großartig weiter Gedanken darüber zu machen. Nur unser Bärenspray was uns seit Alaska begleitet nehmen wir dann doch mit ins Zelt.

Am nächsten Morgen liegen die Täler unter uns wunderschön unterhalb der Wolken. Die Sonne scheint und wir genießen unseren Kaffee mit tollem Ausblick nichtsahnend dass schon wieder ein Taifun auf uns zu rollt.

Wir rollen auf der anderen Seite ins Tal immer entlang kleiner Bergdörfer und türkisfarbener Flüsse. Das winziges Dorf Nagoro ist über und über mit rieseigen Stoffpuppen übersäht. Viele der Häuser scheinen zudem verlassen zu sein. Beim näheren Hingucken sehen wir aber doch noch einige bewohnte Häuser. Wir erfahren erst viel später was es mit den Puppen auf sich hat. In Nagoro lebten einst hunderte von Menschen. Heute sind es nur noch an die 35. Die Japanerin Tsukimi Ayano konnte es nicht mehr mit ansehen und begann für jeden Verstorbenen oder Weggezogenen eine Puppe zu fertigen. So wie Nagoro sind viele Dörfer in Japan von der sinkenden Geburtsrate und raschen Veralterung getroffen. Der Prozess läuft immer nach dem gleichen Muster ab. Zuerst gehen Arbeitsplätze verloren, dann schließen die Schulen und irgendwann wird der Strom abgestellt. Bis lang gibt es noch kein Rezept wie die verlassenen Dörfer wiederbelebt werden können. Mansche Landkreise bieten wohl kostenlos Windeln und Babynahrung für geborene Kinder an, andere versuchen durch günstige Mietpreise Firmen in die leerstehenden Häuser zu locken. Unterdessen verwandelt sich Nagoro weiter in eine von Puppen belebte Geisterstadt. Vor der Bushaltestelle eine Puppenfamilie, in der Schule Puppenkinder, ein Puppenradfahrer am Straßenrand, vor den Häusern Puppenpaare auf Bänken. Ganz schön schräg!

In der Nacht beginnt es wieder zu regnen. Wir sind auf 1300 Metern auf einem Pass und es ist auch ungemütlich kalt. Nachdem wir mal wieder im Regen zusammengepackt haben rollen wir den Pass runter und treffen nur nach wenigen Kilometern auf einen uns entgegenkommenden Rennradfahrer. Er wird von einem Auto und Fotografen begleitet. Trotz des Regens ist er unermüdlich gut gelaunt, will unsere Geschichte wissen. Der Fotograf knipst hunderte von Bilder und wir fragen uns wer ist das...??? Er ist Journalist und arbeitet für ein Radsport Magazin. Mir einem dicken Grinsen sagt er "I am working today" uns zeigt auf sein Rennrad. Er verspricht uns die nächste Ausgabe seines Magazins mit dem Artikel über uns nach Deutschland zu schicken. Ich frage ihn ob er wüsse ob der Regen bald aufhöre. Er guckt mich mit großen Augen an und sagt das Wort welches wir nicht mehr hören wollen "TAIFUN"....

Als wir im Dauerregen im Tal ankommen springen wir zuerst in den Supermarkt den wir sind nach 4 Tagen Berge am Ende unsere Vorräte angekommen. Unser letztes Frühstück und Mittagessen bestand aus einer Packung Fertigreis, gemischt mit Haferflocken, Zucker und Wasser, LECKER!

Es ist bereits dämmrig und nach mehreren Versuchen ein bezahlbares Hotel zu finden geben wir auf. Es gibt nichts unter 80 Euro die Nacht. Das kann dich nicht wahr sein....einen Park mit Unterstand finden wir auch nicht. Wir wenden uns an die Polizei. Im Polizeibüro ist nur ein einziger junger Polizeibeamter der kein englisch spricht. Mit einer Sprach App weis er sich aber ziemlich gut zu helfen. Das ist teilweise sehr lustig. Er hält mir sein Telefon  hin und ich soll sprechen. Ich sage also dass wir ein preiswertes Hotel oder einen Park zum Zelten mit Unterstand suchen wegen des nahen Taifuns. Er spricht etwas in sein Telefon und das Telefon antwortet: " Haben sie ein Zelt gekauft in dem sie wohnen werden". Ich sage das wir ein Zelt hätten. Er telefoniert mit dem Dienstapparat und spricht erneut in die App. Sein Telefon sagt: "Es wurde ein Zeltparkplatz gefunden". Er zeigt mir online die Bilder eines Campingplatzes mit einer Wiese. Ich sage das wir einen Unterstand bräuchten oder ein billiges Hotel. Sein Telefon sagt: "Wie viel Miete können sie bezahlen" . Ich sage nicht mehr als 5000 Yen für uns beide. Er telefoniert erneut. Sein Telefon sagt: "Es wurde ein Bett ausfindig gemacht. Er schreibt 2300 Yen pro Person auf. Ich sage "perfekt". Er wählt mit dem Festnetzapparat und hält Radko den Hörer ans Ohr. Radko hat keine Ahnung wer am Telefon ist. Die Frau am anderen Ende kann gebrochen englisch und ist die Besitzerin des "Couch Guesthouse". Radko fragt nach einer Weg Beschreibung aber sie kann es nicht erklären. " Nur 15 Minuten mit dem Rad" sagt sie aber wohin wir müssen ist weiterhin unklar. Am Ende reicht Radko den Hörer zurück zum Polizisten. Er spricht in sein Handy und das spricht zu uns " Es wurde ein Bus zum Hotel gefunden". Ich sage wir hätten doch die Räder...Das Handy sagt: "Ein Bus ist sehr groß. Die Räder können eingebaut werden". Er signalisiert uns zu warten. Fünf Minuten später steht ein riesiger Polizeibus vor der Tür. Es ist bereits dunkel und der Taifun im vollen Gange. Wir und die Räder werden in den Bus geladen und zur Unterkunft gefahren. Die Fahrt dauert 20 Minuten. Mit dem Rad wären wir sicher zwei Stunden unterwegs gewesen. Die Unterkunft ist für uns Ausländer nicht als solche zu erkennen.  Im Hostal fragt uns der Polizist ob wir Geld hätten und hat bereits sein Portemonnaie in der Hand.  

Ich schaue ihn etwas irritiert an und sage das wir natürlich Geld hätten, bezahle für zwei Nächte und muss innerlich lachen. Was die wohl über uns denken müssen...Nass bis auf die Unterhose und mit Rädern im Taifun unterwegs....Das kann auch die beste Sprach App nicht erklären.

Wir bekommen ein Zimmer im typischen japanischen Stil. Wir sind überglücklich...kein Autolärm, keine anderen Leute im Zimmer, ausschlafen aber vor allem KEIN REGEN. Wir beschließen noch eine dritte Nacht zu bleiben denn was wir erst am nächsten Tag erfahren ist das uns die Polizei in eine der schönsten Altstädte Japans gebracht hat: Die Udatsu Straße in dem Ort Wakimachi!